Mit meiner Kunst die Beziehung zu Menschen gestalten

Gisela Oberbeck im Gespräch mit Stephanie Rothenburg-Unz


Arbeitsplatz im Atelier Csurgo
Dieses Endgültige gefällt mir, dieses bewusste Handeln.
weiter  

Über meine Arbeit

Zeichnung und Schnitt sind die Quellen meiner Arbeit. Am liebsten schneide ich. Ich benutze ein Messer wie einen Bleistift, auch wenn das Messer einen anderen Charakter hat. Für mich ist der Charakter des Messers, dass es trennt. Meine Arbeiten haben viel mit Linie zu tun: mit der Trennung zwischen hell und dunkel, zwischen Luft und Material. Beim Schneiden gefällt mir, dass es etwas ganz klares hat. Auch wenn ich einen Schnitt verkehrt setze, muss ich weitermachen, ich kann ihn nicht rückgängig machen.

Über mein Studium

Die Akademie in Stuttgart war gegliedert wie das Bauhaus und ich bin in vielen verschiedenen Werkstätten gewesen. Sehr schnell war mir klar, dass mir Radierung nicht lag. Sie war mir zu kompliziert und nicht direkt genug. Ich habe sie zwar ausprobiert, aber schnell verworfen. Auch zur Keramik hatte ich keinen inneren Bezug. Der Holzschnitt kam zu Beginn der Akademiezeit in Stuttgart. Vorher hab ich sehr viel gezeichnet, die Zeichnung ist für alles meine Basis. Ich habe sehr schnell bemerkt, in welche Richtung ich gehen will. In München war von vornherein klar, dass ich mit Holzschnitt weitermache.

weiter  

Reisen in Südamerika

Auf meinen Reisen in Südamerika hatte ich Skizzenbücher dabei. Also, ich bin gereist und hab' gezeichnet - überhaupt nicht fotografiert. Wenn ich in Kontakt mit Leuten kommen wollte, hab' ich mich hingesetzt und angefangen zu zeichnen. Da die meisten Leute, vor allem die Indios, unglaublich neugierig sind, war ich immer umringt- das war wunderbar. Drei Monate war ich in Südamerika zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Obwohl ich allein gereist bin, war ich nie allein, weil ich immer weitergereicht wurde. Ich kannte vorher niemanden. Ich hatte wirklich schöne Begegnungen und Erlebnisse!
 

Reiseleitungen in der Türkei

Zunächst habe ich in der Türkei einige Monate lang eine Freundin begleitet. Sie hat mit den Leuten türkisch gesprochen - ich konnte ja kein türkisch! - und ich zeichnete. Später habe ich von 1989 bis 1992 in der Türkei Gruppen für das Reiseunternehmen Dr. Koch begleitet. Pro Jahr war ich ungefähr sechs Monate in der Türkei und in dieser Zeit habe ich ganz gut türkisch gelernt. Wir hatten eine Vereinbarung, dass ich abwechselnd zwei Monate arbeite und einen Monat frei habe.
In meinem freien Monat konnte ich an einem der anderen Standorte des Reiseunternehmens wohnen und an Führungen anderer Reiseleiter als normaler Gast teilnehmen.Also,zwei Monate Arbeit und ein Monat Freistellung für meine Kunst. Ohne verantwortlich zu sein, nur um zu zeichnen.

weiter
   


Aktion"Kurdenhilfe"

Seit dem Golfkrieg 1991 kamen immer mehr kurdische Flüchtlinge aus dem Irak im Winter über die Berge in die Türkei. Ich habe darüber im Radio gehört und mir gedacht: Jetzt hast du so viele Menschen in der Türkei geführt. Ich fand es nicht in Ordnung, dass wir die Türkei bereisen, aber nichts dazu beitragen, dass sich an dem Elend etwas ändert.
Ich hatte dann die Idee, über das Reiseunternehmen eine Ausschreibung zu machen und einen Holzschnitt in limitierter Auflage zu gestalten, für den Interessierte 100-300 DM zahlen und dessen Erlös in die Osttürkei weitergeleitet wird. Das war so meine Idee.
Mit dem künstlerischen Thema "Flucht und Fremde" hatte ich bis dahin noch nichts im Sinn.
Meine Idee entstand vor allem aus der Überlegung heraus, dass wir Verantwortung haben und manchmal einen anderen Blickwinkel brauchen. Ich habe dann den Holzschnitt "Kurdenfamilie" gemacht und ein Konto mit diesem Kennwort eingerichtet. Mit Unterstützung des Reiseunternehmens habe ich die Menschen angeschrieben, die ich selbst geführt hatte oder die zur gleichen Zeit im Osten der Türkei gewesen waren. Die Leute kannten mich also. Ich hatte keine Ahnung, wie groß ich die Auflage drucken sollte - die Leute haben sofort mitgemacht! Innerhalb von drei Wochen waren 13.000 DM auf dem Konto!

weiter
Aber wie sollte ich dieses Geld weiterleiten? Ich wollte ja nicht, dass die Spenden irgendwohin verschwinden. Ein von mir sehr geschätzter Reiseleiter,hat mich überzeugt, dass ich es selbst hinbringen sollte. Ich hatte gerade vierzehn Tage Zeit, habe meine älteste Kleidung angezogen, mir das Geld um den Bauch gebunden und bin in die Türkei geflogen. Mein erster Abend in Ankara war absolut grenzwertig: Ich landete in einer Absteige ohne verschließbare Türen in einem Viertel mit Stromausfall! Von Ankara aus flog ich nach Van, wo mich die kurdischen Freunde erwarteten, die alles weitere in die Hand nahmen. Die haben einen Lastwagen organisiert, ich musste nur noch bezahlen. Der Dreitonnerlastwagen wurde mit 6 Tonnen beladen und alle , die sich daran beteiligten, haben etwas dazu beigetragen: Die Händler haben Waren billiger gegeben, der Lastwagenfahrer hat wenig Geld bekommen. Wir passierten mindestens zwölf Polizeikontrollen und ich weiß bis heute nicht, wie wir da durch gekommen sind. Nazim,unser Reiseleiter, der das koordiniert hat, war einfach phantastisch. Das Lager lag in einem Tal in den Bergen bei Hakkari, an der Grenze zum Irak. Als wir dort ankamen und mit dem Türkischen Halbmond und den Lagerdelegierten den Lastwageninhalt verteilten, war eigentlich meine "Mission" erfüllt - ich dachte, es sei eh ein Wunder, dass alles so funktioniert hat.

weiter

Holzschnitte und Schattenbilder zum Thema Flucht&Fremde


Schlüsselerlebnis

Aus der Aktion "Kurdenhilfe" heraus ist mein künstlerisches Engagement zum Thema "Flucht und Fremde" noch nicht gleich entstanden. Sondern erst aus dem, was ich nach der erfolgreichen Verteilung am Lagereingang erlebte. Ich war zufrieden und wollte wieder zurückfahren.
Mein kurdischer Begleiter hat aber darauf bestanden, dass ich mit ins Lager komme. Es war ein abgesperrtes, bewachtes Gebiet. Er hat einen Krankenwagen organisiert, in dem wir uns versteckten.
Was dann kam, war für mich vorher einfach unvorstellbar. Ich habe mich furchtbar geschämt, denn ich wusste, dass ich das Lager wieder verlassen konnte. Ich fühlte, dass ich auf der anderen Seite stehe, weil ich in eine andere Situation hineingeboren bin. Aber: Ich war natürlich auch froh, dass ich wieder rauskonnte!
Dieses Tal war voller Menschen, Zehntausende, die im Schlamm unter Plastikbahnen hausten. Ein Ort jenseits jeder Beschreibung.
Die Kinder waren total verwahrlost. Es gab aber vereinzelt Personen, vor allem Frauen, die mit wunderschönen Trachten angezogen waren und gleichzeitig mit nackten Füßen durch den Schlamm liefen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in einer solchen Situation soviel Würde hätte.
Das Elend war schrecklich und diese Menschen mussten vorher furchtbare Dinge erlebt haben, dass sie dieses Inferno überlebten.
Bewusst sage ich Inferno, vor allem, weil so ein Geruch von Verwesung über allem lag. Das kann man weder in Worten noch in Bildern ausdrücken.
Ein Todesgeruch, ein Geruch der nicht zum Leben gehört.

weiter
An diesem Tag war wunderschönes Wetter und als wir das Lager wieder verlassen hatten, faßte ich ganz bewußt den Entschluß:

Die nächsten Jahre stellst du deine Arbeitskraft in den Dienst dieser Erfahrung mit Flüchtlingen. Egal, ob du was Pädagogisches, Künstlerisches oder Politisches machst. Wenn ich nicht ins Lager hineingegangen wäre, wäre es nicht dazu gekommen, also ganz sicher nicht!



Nach meiner Rückkehr nach München entstanden in den Folgejahren in Zusammenarbeit mit engagierten Künstlern,Schriftstellern und politisch interessierten Freunden die beiden Mappenwerke
"Flucht&Fremde" und "Fremden begegnen-sich begegnen".
Flucht Text Elie Wiesel Verzweiflung Gedicht Erich Fried Hoffnung