Reportage

"Kriegs-Musik" in Potsdam

Eine Aufführung in drei Akten


1991, 17. Januar: Erinnern Sie sich?

Beginn des "Desert Storm" , der Bombenangriffe der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak, nachdem dieser im August 1990 Kuwait besetzt hat und die Ultimaten der USA und Resolutionen der UNO ignorierte. Es beginnt nicht nur ein Wüstensturm genannter Krieg, sondern auch eine beispiellose Medienschlacht. Eine PR-Agentur bereitet die Inszenierung dieses Krieges mediengerecht auf, Informationen über das militärische Vorgehen der USA geraten nur zensiert an die Öffentlichkeit.
In München reagiert die Künstlerin Gisela Oberbeck mit einer Serie von Holzschnitten auf die reißerischen und permanenten Kriegsberichte, die sie vor allem über Rundfunk und Zeitungen erlebt.
Wie in einer Partitur verdichten sich in zwölf hart schwarz-weißen Holzschnitten der Lärm des Krieges und der Berichterstattung zu einer Abfolge von expressiven, abstrakten Stürzen, Strudeln, Verwerfungen und Zersplitterungen : zu einer bedrohlichen Auflösung der Realität.
fallende soldaten
Die aggressiven Töne der Berichterstattung über den Golfkrieg 1991 haben in der künstlerischen Arbeit von Gisela Oberbeck eine besondere antimilitaristische "Kriegs"-Musik in ihrer Technik, dem Holzschnitt, hervorgebracht.





2001, 10. Oktober:

Ein Monat nach den terroristischen Angriffen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington D.C, trifft Arnim Lang, promovierter Historiker und Schriftleiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)in Potsdam nach 25 Jahren die Künstlerin Gisela Oberbeck, seine Schulfreundin aus Karlsruhe, auf der Frankfurter Buchmesse beim Forum BookArt wieder. Er ist auf der Suche nach einem Coverbild für den Sammelband "Kriegsende 1945 in Deutschland", der vom MGFA herausgegeben wird.
Kann eine nach dem Krieg - 1953 - geborene Künstlerin überhaupt eine entsprechende Vorlage liefern? Gisela Oberbeck beschäftigt sich seit Beginn der neunziger Jahre - nach einem Schlüsselerlebnis beim Besuch eines Flüchtlingslagers irakischer Kurden in der Ost-Türkei - mit den Folgen des Kriegs im Irak. Sie bietet dem Freund ihre Holzschnitt-Serie "Kriegs-Musik" an und schlägt selbst die "Fallenden Soldaten" vor – unsicher, in welchen Zusammenhang die ihr unbekannte Buchveröffentlichung ihren kriegskritischen Holzschnitt bringen kann.


2002, 14. März:

Im renovierten Marstall der früheren Villa Ingenheim in Potsdam, Sitz des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, wird die "Kriegs-Musik" von Gisela Oberbeck zum erstenmal seit ihrer Entstehung 1991 öffentlich ausgestellt, nachdem das MGFA das Blatt "Fallende Soldaten" als Coverbild für die Veröffentlichung ausgewählt hat; von den Herausgebern ausdrücklich in die kriegsächtende Tradition eines Otto Dix gestellt. Grafik Fallende Soldaten für Buchumschlag Aus Anlass der Jahrestagung der deutschen Kommission für Militärgeschichte werden drei "events" unterschiedlicher Ausprägung miteinander verbunden , die der Amtschef Dr. Jörg Duppler, Kapitän zur See, in seiner Begrüßungsrede als "kulturelle Vernetzung und zugleich als Ausdruck des weit gefaßten Verständnisses von militärgeschichtlicher Forschung des MGFA" bezeichnet. Es gehe nicht nur um einen künstlerischen Rahmen zur Präsentation von Arbeitsergebnissen, "sondern um das kommunikative und kommunizierende Ganze von Wort, Schrift und Bild".

An diesem Nachmittag fügen sich zu einem Rahmenprogramm zusammen:
  • Die Ausstellungen der Künstlerinnen Gisela Oberbeck und Christa Schwarztrauber aus München, die - zusätzlich zur "Kriegs-Musik" - die gemeinsame Mappe «Flucht und Fremde»

    und eine internationale Druckermappe "Luises Glanz und Preußens Gloria" präsentieren,

  • der Vortrag von Professor Werner Knopp über " Das Preußenjahr 1991 - Bilanz eines Gedenkjahres"

  • die Präsentation des von Jörg Hillmann und John Zimmermann herausgegebenen und vom Forschungsdirektor des MGFA, Professor Hans-Erich Volkmann, vorgestellten Sammelbandes "Kriegsende 1945 in Deutschland".
Diese Beiträge schlagen eine Brücke zu den inhaltlichen Fragen, die Professor Volkmann so formuliert :"Wie geht die Gesellschaft in ihrer Erinnerung mit Krieg um, wie verarbeitet sie Krieg, Kriegserlebnis und Kriegsfolgen?"
Auch für das MGFA ist diese Veranstaltungsform ein Experiment. Es wurde eingegangen, um zu zeigen, was uns - in den Worten des Amtschefs Jörg Duppler - " in der Beschäftigung mit Geschichte und aktueller Politik im Zeitalter umfassender Migrationsbewegungen immer wieder begegnet: Flucht und Leben in der Fremde, Zukunftsangst und Heimweh". Gisela Oberbeck im Gespräch mit Dr. Jörg Hillmann,einem der Herausgeber

Die Besorgnis der Künstlerinnen, ob ihre Ausstellungen im militärisch geprägten Umfeld - so viele Uniformen! - am richtigen Platze sind, weicht zunehmend der Überraschung über die freundliche und fürsorgliche "Coolness" der Hausherren, die - in Uniform oder nicht - kritische Aufgeschlossenheit vermitteln und wenig Anlass geben, sich vor militaristischem Gehabe - in Potsdam! - zu fürchten. Eher ist es der überaus gesellschaftliche Charakter des Abends mit dem vom Münchner Oldenbourg-Verlag gesponserten Buffet, das die Aufmerksamkeit von den ernsthaften Ausstellungsthemen ablenkt.

©Stephanie Rothenburg-Unz